Die Felsenkirchen Äthiopiens


Zu den spektakulären Monumenten der Welt gehören die Felsenkirchen Äthiopiens . Sie sind etwas Besonderes in der Geschichte der Architektur, denn sie bestehen aus nur einem einzigen Stein. Die christlichen Basiliken wurden im Norden des afrikanischen Landes tief in die schroffe Felslandschaft der Provinzen Tigre, Welo, und Lasta gehauen. Ihre Konturen wurden aus dem gewachsenen Stein herausgeschält, um anschließend ihr Inneres auszuhöhlen. Wer diese einzigartigen Wunderwerke erbaute, ist bis heute ungewiss. Auch wie viele Menschen wie lange an diesen Gotteshäusern arbeiteten, weiß niemand. Nur Legenden lassen eine fantastische Vergangenheit des Landes, seiner Menschen und ihrer Glaubens erahnen.

Im Land der Wunder
Es ist ein Vorstoß ins Dunkel für jeden, der eine dieser Felsenkirchen betritt. Langsam jedoch enthüllt sich den Augen eine ungewöhnliche Pracht. Bis zu 12 Meter hoch streben die Innenwände: Säulen mit Kapitellen, wie sie auch in äthiopischen Kaiserpalästen anzutreffen waren, stützen jede der gewaltigen ausgehöhlten Steinkonstruktionen und verlieren sich in Kuppeln und Gewölbebögen. Mit weit aufgerissenen Augen schauen Heilige und Engel auf ihre Besucher herab. Auffallend ist , dass jegliche Perspektive und Tiefenwirkung fehlt. Vermutlich dachten die Künstler , dass kein noch so gutes Abbild die Vollkommenheit eines Originals erreichen kann. Die Gemälde hatten nur die Aufgabe, den Betrachter zu Gott zu lenken, hinein in eine überirdische Welt.
Aus diesen himmlischen Gefilden, so will es die Überlieferung, stammte auch der Auftrag, diese Welträtsel aus Felsgestein zu erbauen. Im zwölften Jahrhundert wurde in Äthiopien Prinz Lalibela geboren. Sein Bruder, König Harbay, sah in ihm eine Konkurrenz für seine Herrschaft und versuchte ihn zu töten. Doch das Giftattentat schlug fehl. Stattdessen sah sich der junge Prinz im Koma zu Gott entrückt, der ihm mitteilte, er solle sich ganz auf die Vorsehung verlassen. In Jerusalem sei er in Sicherheit und eines Tages werde er als König nach Äthiopien zurückkehren. Dann erhielt Lalibela konkrete Anweisungen für den Bau der ersten Kirche, ihre Ausstattung und ihren Standort.
König Lalibela
Historisch gesichert ist, das Prinz Lalibela tatsächlich von 1160 bis 1185 in Jerusalem lebte. Als er in das Land seines Vaters zurückkam, eroberte er den äthiopischen Thron und begann unverzüglich mit dem Bau der rätselhaften Felsenkirchen. Der Regierungssitz Roha wurde das Zentrum der neuen Baukunst. Lalibela opferte all seinen Reichtum, um in seiner Königstadt elf himmlische Felsenkirchen zu erbauen. Nach Vollendung des göttlichen Auftrags zog sich der Herrscher in die Einsamkeit zurück. Zum Gedenken an ihn wurde Roha nach seiner Heiligsprechung in Lalibela um.

Die Bundeslade in Äthiopien
Die Anfänge der christlichen äthiopischen Kirche gehen weit ins vierte Jahrhundert zurück. Das Nationalepos verweist sogar auf biblische Wuzeln: Menelik I. war der Sohn des weisen Königs Salomon, deren Reich in Äthiopien gelegen haben soll. Vor 3000 Jahren stattete der Prinz seinem Vater in Jerusalem einen Besuch ab. Sein wirkliches Ziel war jedoch das höchste Heiligtum der Israeliten, die Bundeslade – ein mit göttlicher Energie geladener Schrein, mit dem die Priester in direkte Verbindung mit Gott treten konnten, da der Prophet Moses die Konstruktionsanleitung vom Allmächtigen selbst erhalten haben soll. (Eine andere Legende besagt, dass die Bundeslade die Originaltafeln mit den 10 Geboten enthält). Durch Menelik gelangte das wundersame Relikt in die Hauptstadt Äthiopiens, nach Axum, wo es sich noch heute streng bewacht, wie die Äthiopier glaube, in der Steinkirche „Maria Zion“ befindedn soll. Um diese Bundeslade im Mittelalter vor den vordringenden islamischen Armeen zu beschützen, legten die Äthiopier über 160 weitere Felsenkirchen an. Getarnt durch die Berghänge waren sie von den Feinden kaum auszumachen. Zudem verbinden unzählige Höhlengänge viele Kirchen miteinander.

Biblische Spuren
Durch das Tunnellabyrinth Lalibelas gelangen die Gläubigen auch in die Kirche „Beta Medhane Alem“, das „Haus des Welterlösers“. Um den „Staub der Welt“ abzuschütteln, ziehen sie sich vor Betreten der Kathedrale die Schuhe aus. Sonore Gesänge dröhnen durch einen 38 Meter langen Innenraum. Rhythmisches Klatschen und der monotone Schlag des Sistrums, einem biblischen Rasselinstrument, Weihrauchduft und Kerzenrauch hüllen die Betenden ein. Mit prächtigen Umhängen bekleidete Priester mit großen Prozessionskreuzen in ihren Händen sprechen Gebete. Sie bewachen den Eingang zu einem zweiten Bereich, der mit Vorhängen verschlossen ist. Selten nur gelingt es, einen Blick auf den dahinter liegenden dritten Kirchenraum zu werfen, wo sich das Allerheiligste befindet.
Die Dreiteilung der äthiopischen Kirche ist eine direkte Verbindung zum salomonischen Tempel von Jerusalem und zeigt, wie stark die Christen dieses Landes vom jüdischen Glauben beeinflusst wurden. Im „magda“ genannten dritten Teil jedes Gotteshauses wird das Kirchenheiligtum aufbewahrt, der Tabot. Er ist eine Nachbildung der Bundeslade. Das Original selbst – sofern es sich tatsächlich um das Original handelt und äthiopische Priester in der Vergangenheit nicht nur ein Duplikat der Bundeslade in ihr Land transportiert hatten – wird einmal im Jahr zum höchsten religiösen Fest, dem Timkat, in Tüchern verhüllt in einer Prozession von Priestern durch das 230 Kilometer nördlich von Lalibela gelegene Axum getragen.
Dier Geheimnisse der Felsenkirchen und der Bundeslade sind noch nicht enthüllt. Doch wenn in den alten Überlieferungen ein Kern Wahrheit liegt, dann könnte uns eines Tages eine sensationelle Entdeckung bevorstehen.