Glastonbury – ein himmlischer, heiliger Ort auf Erden


Wie ein gewaltiges urzeitliches Tier erhebt sich aus der Ebene von Sommerset ein 160 m hoher Hügel, der Glastonbury Tor. Auf ihm stehen die Ruinen einer sagenumwobenen Kirche, und er markiert gleichzeitig einen der geheimnisvollsten Orte Englands. War der Tor das Zentrum von Fruchtbarkeitsriten, die auf der Legende der Erdgöttin basierten? Oder handelt es sich um die sagenhafte Insel Avalon mit dem Grab König Artus?
Avalon, der Ort der Toten
Um den Hügel von Glastonbury Tor (Tor ist ein Wort keltischen Ursprungs und mit „Hügel“ oder „Berg“ zu übersetzen) verläuft, ähnlich wie bei Silbury Hill, ein Terrassensystem, verwittert und von den Naturgewalten abgetragen, doch immer noch gut zu erkennen. Seit jeher hat man diese Wege für ein riesiges Labyrinth gehalten, das einem alten magischen Muster folgt. Stimmt dies, so wurde es vor 4000 oder 5000 Jahren als eine der rituellen Stätten angelegt, als die auch Stonehenge gilt. Vor 2000 Jahren umspülte das Meer den Fuß des Tors, schloss den Hügel ein und machte ihn bei Flut zur Insel. Das Meer zog sich zurück und wurde zu einem gewaltigen See. Zu dieser Zeit nannte man den Tor Ynys-witrin, Glasinsel. Aus der keltischen Legende stammt auch der Name Avalon, benant nach dem Halbgott Avalloc oder Avallach, der die Unterwelt regiert. Keltischer Überlieferung nach war Avalon ein verzauberter – aber ein heidnischer Ort. Darum ist es nicht unwesentlich, dass die Kirche auf dem Hügel nach dem Erzengel Michael benannt ist, dem Krieger gegen die Kräfte der Dunkelheit. Avalon, wo sich Meer und Land trafen, war der Ort der Toten, hier wechselten sie von der einen in die andere Welt.

Die Geschichte der Abtei
Sommerset wurde im 7. Jahrhundert von den zum Christentum bekehrten Sachsen unter ihrem König Ine von Wessex, einer der wichtigsten Figuren in der Geschichte der Abtei, erobert. Er soll eine steinerne Kirche errichtet haben, deren Fundamente der westliche Teil des Kirchenschiffs sind. Im 10. Jahrhundert wurde diese Kirche vom Abt von Glastonbury, St. Dunstan, der 960 Erzbischof von Canterbury wurde, vergrößert. 1066 eroberten die Normannen England, und Turstin, der erste normannische Abt, ließ die Abtei vom Friedhof bis zur sächsischen Kirche vergrößern. Schon 1086 war Glastonbury das reichste Kloster des Landes, doch knapp 100 Jahre später, 1184, wurde die Abtei mit vielen wertvollen Schätzen vom Feuer zerstört. Erst am Weihnachtstag 1213 weihte man die neue Kirche ein. Bis weit ins 14. Jahrhundert war Glastonbury dann das zweitreichste Kloster Englands, nach Westminster Abbey, und sein Abt ein mächtiger Mann. Unter der Herrschaft Heinrichs VIII. gab es 1536 mehr als 800 Klöster in England – als Rom ihm die Scheidung von Katharina von Aragón verweigerte, machte er sich mit der Suprematsakte zum Oberhaupt einer neuen anglikanischen Kirche. Die Klöster wurden aufgelöst, Mönche und Nonnen vertrieben, die Schätze fielen der Krone zu, Glastonbury verfiel.

Das Grab König Artus
Eines der großen Geheimnisse von Glastonbury ist die Frage, ob Artus hier begraben liegt. Schon 1190 versicherten Mönche, seine sterblichen Überreste zusammen mit denen seiner Frau Ginevra in einem Grab unter der Abtei gefunden zu haben. Auf dem aus einem Baumstamm geschnitzten Sarg standen auf einem bleiernen Kreuz die lateinischen Worte: Hic iacet sepultus inclitus rex arturius in insulva avalonia („Hier liegt König Artus auf der Insel Avalon begraben“). 1278 wurden die Knochen beim Besuch von König Edward I. in das schwarze Marmorgrab vor dem Hauptaltar in der Abtei überführt. Dort sollen sie bis zur Zerstörung des Klosters 1536 verblieben sein. Seitdem fehlt jede Spur von ihnen, ein legendärer schwarzer Ritter mit glühend roten Augen soll die Abtei heimgesucht und alle Spuren des sagenhaften Königs getilgt haben.

Der heilige Gral
Am Fuß des Hügels gibt es einen alten Brunnen, dessen Wasser wie der Schlag eines Herzens klingen und dunkelrot sind durch das Eisenoxid des ihn umgebenden Felsens – darum nennt man ihn auch Blutbrunnen. Der Legende nach wurde dieser Brunnen von Druiden erbaut, um darin das Gefäß des letzten Abendmahls, den Gral, zu verbergen, den Josef von Arimathia nach England gebracht hatte, nachdem er darin das Blut Jesu bei der Kreuzigung gesammelt hatte. In den Legenden von Glastonbury und Sommerset erzählt man sich, Jesus habe als Junge zusammen mit seinem Onkel Josef von Arimathia hier in Glastonbury die erste Kirche aus Flechtwerk errichtet. Darum sei Josef hierher zurückgekehrt, um den Gral an dieser Stelle zu verbergen. Josef soll den Kelch unterhalb des Tors vergraben haben, unweit des Eingangs zur Unterwelt. Dort entsprang kurz darauf eine Quelle, Chalice Well, der Kelchbrunnen, ihr Wasser soll ewige Jugend verleihen. Es war der Gral, der Artus und die Ritter der Tafelrunde nach Avalon brachte.

Die Tor-Göttin
Die Autorin Kathy Jones vermutet im Tor eine Ritualstätte für die Erdgöttin, ja, der Tor selbst sei wie eine gewaltige Skulptur zu ihren Ehren angelegt worden. Die Erd- und Fruchtbarkeitsgöttin hat viele Namen – Rhiannon, Venus, Aphrodite, Morgen- und Abendstern. Der Tor sei ein hohler Hügel, ausgehöhlt von Grotten, in denen Trolle und Elfen zur Ehre der Göttin leben. Der Tor ist angelegt wie ein siebenlagiges Labyrinth, wie es auch in Kreta auf Münzen abgebildet wurde, wie es auf den Felsen von Tintagel in Cornwall zu sehen ist. Es ist auch das Symbol der Erdmutter dedr nordamerikanischen Hopi-Indianer. Eine Abbildung der Fruchtbarkeitsgöttin findet sich in dem Dolmen Luffang-en-Crach in Carnac. Der Eingang zum Labyrinth soll sich am westlichen Ende des Tors befinden und sich von dort über den Hügel bis zum Herzen der Göttin ziehen.

Der Tempel der Sterne von Glastonbury
In einem Umkreis von 16 km befindet sich der Zodiak von Glastonbury, ein in den natürlichen Gegebenheiten wie Wäldern, Flüssen, Bächen, Pfaden, Orten und Ebenen angelegter „Naturpark“ der Tierkreiszeichen. Dieser gewaltige Naturtempel der Sterne ist eine Verbinsung von Astrologie, Artussage und New Age. Für sein Erkennen braucht es viel Fantasie, denn der Park basiert mehr auf geografischen Namen und Legenden als auf historischen Tatsachen: Artus war Schütze, Ginevra Jungfrau, Merlin Steinbock, Lanzelot Löwe, Glastonbury liegt im Wassermann, der durch einen Phönix gezeigt wird – Neues ersteigt aus Altem – der Brunnen des Kelchs ist der Schnabel des Vogels, der Stier sein Kopf und das Kloster die Festung des Grals. Die Bildhauerin Katherine Maltwood entdeckte die Sternkreiszeichen 1929 in der Natur, die Kunstprofessorin Mary Caine filmte sie vom Flugzeug aus und legte die erste Karte an. Sie behauptet, die Zeichen setzten sich überdies zu einem gewaltigen Gesicht des Messias zusammen.
Glastonbury – ein verzauberter Ort, dessen Energie spürbar ist. Der Historiker William de Malmesbury (ca. 1080 – ca. 1143) schrieb im 12. Jahrhundert, Glastonbury „ist ein himmlischer, heiliger Ort auf Erden“.