Machu Picchu – Verlorene Stadt


Im südlichen Zentralperu, auf einem Bergsporn über den Ufern des Rio Urubamba, liegt majestätisch die Urwaldstadt Machu Piccu. Als 1911 die sentationelle Nachricht von ihrer Entdeckung durch Hiram Bingham (1875-1956), einem jungen Geschichtsprofessor der Universität Yale, durch die Weltpresse ging, begannen sich schnell Gerüchte um die Inka-Stadt zu ranken.
In der Region um Machu Piccu wurden bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts mehrere Städte entdeckt, von deren Existenz bis dahin niemand wusste – auch die Überlieferungen der Inka kannten sie nicht . War die gesamte Gegend um Machu Piccu ein geheimer oder vor Jahrhunderten vergessener Landstrich ?

Sensation und Gerüchte
Von seiner Gier nach Gold getrieben, brach Pizarro 1527 auf, um in Südamerika das Reich der Inka zu erobern. Mit seinen etwa 200 gut ausgerüsteten Soldaten gelang dies zwar auch, doch scheint er nicht überall hingekommen zu sein, denn die Region um Machu Piccu hat er nie erreicht. Historiker vermuten, dass sie als letzte Bastion der Inka vor den Spaniern geheim gehalten werden konnte.
Wissenschaftler haben zahlreiche Theorien aufgestellt, um zu erklären, warum diese Stadt erbaut wurde und was für eine Funktion sie hatte.
War Machu Piccu eine „Stadt der Frauen“? Darauf deuten die ausschließlich weiblichen Skelette hin, die auf dem Friedhof der Stadt gefunden wurden.
War es eine Grenzbefestigung? Der Inka-Staat musste sich womöglich vor Überfällen der Waldindianer schützen.
Soll Machu Piccu eine Strafkolonie für Koka-Anbauer gewesen sein? Die vielen Terrassenfelder im Umkreis der Stadt geben dieser Vermutung Nahrung, zumal die Inka damals tatsächlich das von ihnen besiegte Indianervolk der Antis zu Zwangsarbeiten einsetzte.
Oder diente die Stadt als Zufluchtsstätte des letzten Inka-Kaisers Tupac Amaru, der 1572 starb? Dies ist nur eine kleine Auswahl der Vermutungen, die aber bislang nicht bewiesen werden konnten.

Eine vergessene Kultur ?
Der peruanische Archäologe Dr. Viktor Angles ist der Ansicht, die Inka hätten Machu Piccu nicht vor den Spaniern geheim halten können. Die Ruinenstätte muss einst eine viel zu große Bedeutung gehabt haben, als dass die Spanier nicht von ihr gehört hätten. Die Spione der Eroberer waren schließlich überall im Land und sie arbeiteten mit bedeutenden Mitgliedern des Hofstaates zusammen. „Und doch wussten die Spanier nichts von Machu Piccus Existenz. Warum?“, fragte 1971 der amerikanische Altertumswissenschaftler John Hemming. Seine Antwort: „Die einzig mögliche Erklärung ist, dass die Inka selbst nichts davon mussten.“ Es könnte sein, dass dieses Gebiet schon lange vor der Eroberung Perus verlassen war. Kriegszüge der furchterregenden Antis, Indianer aus den tropischen Wäldern, könnten möglicherweise dafür verantwortlich sein, dass um 1550 niemand mehr von Machu Piccu wusste. Der Direktor des Anthropologischen Museums in Lima, J.E. Nunez, sagt zum heutigen Forschungsstand: „Gegenwärtig ist kein professioneller Archäologe imstande, die offenen Fragen zu Machu Piccu zu beantworten.“ Und der Archäologe Luis A. Pardo aus Cuzco in Peru ist der Überzeugung, dass die „verlorene Stadt das sibyllinische Geheimnis eines uralten Volkes wahrt.“

Ein prä-inkaischer Staat
War Machu Piccu bereits aus den Erinnerungen der Anden-Indianer verschwunden, als die Spanier Peru eroberten? Manches im Baustil deutet auf die imperiale Epoche des Inka-Königs Pachacuti (1438-1471) um 1440 n.Chr. hin Die Inka-Dynastie, die erst um 1230 mit einem kleinen Indianerstamm in Peru eingewandert war und ab Mitte des 14. Jahrhunderts ihr Reich auszudehnen begann, hätte demnach lediglich hundert Jahre Zeit gehabt, um Machu Piccu in seinen gewaltigen Ausmaßen, mit seinem Kanalsystem und den in die Felswände getriebenen Terrassen zu erbauen, zu bewohnen, zu verlassen – zu vergessen. Viele Forscher halten dies für unmöglich. Der Archäologe und Astronom Dr. Muller gelangte vor kurzem aufgrund mathematischer Berechnungen zu dem Schluß, dass das „Astronomische Observatorium“ der Stadt auf 4.000 Jahre v.Chr. datiert werden kann. Der Architekt und Ingenieur Oswaldo Paez Patino weist Machu Piccu „einen älteren Platz als den ägyptischen Pyramiden“ zu. Tatsächlich fand ein Archäologenteam dort 3.000 Jahre alte Scherben. Damit bestätigten sich die Annahmen des renommierten peruanischen Forschers Dt. Julio C. Tello, der bereits 1930 dieses Alter annahm. Als 1990 ein Absinken des Haupttempels befürchtet wurde, stieß man bei Stützarbeiten auf zyklopische Steinblöcke, die 150 Meter tief lagen. Die Grundfeste der Stadt ruhen somit auf wesentlich älteren Strukturen, als man bislang annahm.

Zyklopenstädte
Entlang der Anden trifft man häufig auf Gigantenstädte aus gewaltigen zugeschnittenen Felsblöcken. Auch Machu Piccu gehört zu einem netzförmigen System von „Ceques“, monolithische Orte. Sie stammen alle aus einer weit zurückliegenden Periode, denn schon die Inka staunten über die Reste dieser sehr präzisen Bauten. Wie die antiken Völker die riesigen Steine schneiden, schleifen und oft über weite Strecken transportieren konnten, bleibt ein Rätsel. Überlieferungen besagen, die Erbauer hätten einen Pflanzensaft gekannt, mit dem sie die Steine butterweich machen und zuschneiden konnten. So sollen auch andere Monolith-Kulturen aus anderen Teilen der Welt ihre riesigen Bauten und Skulpturen errichtet haben.
Machu Piccu besaß durch seine Gesamtkonzeption eine herausragende Stellung. Eine Legende erzählt, der erste Inka-Herrscher Manco Capac habe seinem Bruder um 1.200 n.Chr. befohlen, einen „Tempel mit drei Fenstern“ zu erbauen. Und tatsächlich ist ein solches Gebäude, das in ganz Südamerika einmalig ist, in Machu Piccu zu sehen. Das Bauwerk sollte an dem Ort errichtet werden, an dem Manco Capac und sein Bruder durch den Strahl der Sonne erzeugt worden waren. Und so fragte sich schon der Entdecker Machu Piccus, Hiram Bingham, ob er etwa diesen mythischen Erscheinungsort gefunden hatte. Wenn dem so wäre, dann könnte die versunkene Stadt noch zahlreiche Geheimnisse bergen.